Corona-Tagebuch 170

8. Dezember 2020

Es beginnt sich eine gewisse Routine einzustellen. Früh am Rechner mit dem Kaffee sitzen und die Meldungen durchforsten. Dabei aufpassen, dass der Kaffee nicht umkippt und sich über die Tastatur ergießt, das wäre der Super-GAU. Drei, vier Stunden recherchieren, dann dieses Tagebuch hier schreiben, danach eine Tiefkühlpizza im Ofen braten und dabei eine alte Folge der Quizshow ‚Gefragt, gejagt‘ mit dem unfassbar doofen Alexander Bommes gucken. Anschließend vielleicht noch einen Text schreiben, einkaufen, kochen, mit der Tochter ein paar Folgen irgend einer Serie glotzen, schlafen gehen. Hurra, wir leben noch! Ab und zu Spaziergänge und Konversation auf Friedhöfen. Sonntags, als Höhepunkt der Woche, der Reformbühnen-Livestream im Weddinger Echsen-Studio. Ob ich jemals wieder drei, gar viermal die Woche auftrete? Werde ich mich dann überhaupt noch auf die Bühne trauen? Die Gastronomen und wir Narren führen den Kampf gegen das Virus, während der Präsident des Maschinenbauverbandes (VDMA) Karl Haeusgen selbstbewusst verkündet: „Es darf weiterhin zu keinem Lockdown der Industrie kommen.“ Natürlich nicht. „Kitas und Schulen müssen so weit wie möglich offen bleiben, berufliche Reisen müssen wieder mit wenig Aufwand möglich sein.“ Sicher. Wie „ernst“ die Lage ist, zeigen auch die Äußerungen des Regierenden Bürgermeisters von Berlin Herr Müller (oder Maier?): „Ich kann mir gut vorstellen, dass es nach Weihnachten Einschränkungen gibt.“ Seiner Meinung nach könne über Begrenzungen für den Einzelhandel nach den Weihnachtseinkäufen durchaus diskutiert werden: „Es gibt auch keinen Grund, sich dann wirklich noch am 28. Dezember einen Pullover zu kaufen, das kann man auch vorher machen.“ Eben! So jemanden wünscht man sich doch in einer Krisensituation. ‚Lasst uns mal übermorgen das Haus verlassen, es brennt.‘ In Großbritannien hat das Impfen begonnen, nach Russland das zweite Land in Europa. Wie gut man im ‚Freien Westen‘ informiert ist, zeigt sich an der Äußerung der ersten geimpften Britin, der 90-jährigen Margaret Keenan: „Ich fühle mich so privilegiert, die erste Person zu sein, die gegen Covid-19 geimpft wurde.“ Russen zählen nicht. Oder man drückt es wie ‚Die Welt‘ aus, deren Schlagzeile lautet: „90-jährige Margaret Keenan als erste reguläre Patientin gegen Covid-19 geimpft“. Russen sind irregulär? Griechenland verlängert den Lockdown bis 07.01., Tschechien den Notstand bis 11.01., Ungarn die Maßnahmen bis 11.01., Dänemark schließt in 38 von 98 Kommunen alle Restaurants, Bars, Cafes, Freizeit- und Kultureinrichtungen, Fitnessstudios, Zoos, Schwimmbäder und Schulen ab der 5. Klasse. In Litauen darf die Wohnung nur noch aus triftigem Grund verlassen werden, Versammlungen und Feiern von mehr als zwei Familien und Haushalten sind verboten, auch über Weihnachten. Im Gaza-Streifen gehen die Test-Möglichkeiten aus. Afghanistan schließt seine Hochzeitshallen. Südkalifornien verkündet einen strikten Lockdown mit Ausgangssperre. Über 2.000 Covid-19-Tote meldet Serbien, über 3.000 Bosnien/Herzegowina, über 5.000 Bulgarien und Portugal, über 6.000 Ungarn, über 9.000 Tschechien, über 15.000 die Türkei, über 110.000 Mexiko. In Deutschland verschärft die Stadt Lüneburg den Kampf gegen das Virus. Gemeinsam mit dem Landkreis zieht man die Erlaubnis für den freien Verkauf von Glühwein zurück. Gastronomen und Händler dürfen keine alkoholischen Heißgetränke mehr außer Haus anbieten. Die Stadt möchte dafür an „kleinen Weihnachtsinseln“ und 22 Buden nichtalkoholische Heißgetränke wie Früchtepunsch, heißer Holunder und Kakao ohne Schuss offerieren, die im Sitzen konsumiert werden müssen, wofür die Stadt extra „größere Verweilzonen zum Sitzen“ aus dem Boden stampft. Hurra! Das Virus, es ist so gut wie besiegt.

Tipp für heute: Die Hände vor dem Kopf zusammen schlagen.

Allgemein | Kommentare

Kommentar schreiben

  •  
  •  
  •  

Verfolge neue Kommentare zu diesem Beitrag mit diesem Kommentar-Feed.

Kategorien