Corona-Tagebuch 174

12. Dezember 2020

Früh beim Anstehen nach Schrippen einen alten Bekannten getroffen, der sich einst bei freien Radios engagierte und mittlerweile als Lehrer arbeitet und der mich fragte, wie es denn so laufe, ob ich mir vorstellen könne, mein Geld ebenfalls anders zu verdienen. Ich musste kurz schlucken, bin ja nicht mehr der Jüngste, fast 100, dann aber dachte ich nach. Schrippen verkaufen, vielleicht, wo wir schon davor standen, beim Bäcker? Nee. Muss man immer so früh aufstehen. Krisensicher sind garantiert Sklaven-Jobs bei Versandfirmen, Amazon & Co. Die Leute bestellen ja wie verrückt. Regelrecht zugeschissen wird man mit Paketen. Muss mich an die Performance erinnern, zu der man damals noch nicht Performance sagte, bei der Bluesmesse, die langsam zur Punkmesse mutierte, in der Erlöserkirche, Rummelsburg, vor der Wende, in den Achtzigern, als auf der Bühne jemand stand, der nach und nach von Paketen umstellt wurde, regelrecht eingemauert, und diese Mauer aus Paketbausteinen dann unter Schreien auseinandertrat und schlug. Befreiung! Der Oberbürgermeister von Frankfurt/Main, Peter Feldmann (SPD), hat die Bürger der Stadt aufgerufen heute in der Innenstadt shoppen zu gehen: „Am 12.12. sind wir alle Kinder!“ preist er das Angebot zum Kindertarif im Öffentlichen Nahverkehr fahren zu dürfen: „Mit diesem Angebot ermöglichen wir den Fahrgästen am Samstag vor dem dritten Advent, kostengünstig mit einem Kinderfahrschein in Frankfurt unterwegs zu sein, um so ihren Weihnachtseinkauf zu erledigen.“ Die Frankfurter Virologin Sandra Ciesek dazu: „Ist heute der 1. April!???“ Viele Bundesländer stellen sich auf einen Lockdown ab Mittwoch ein, der auch von der Kanzlerin favorisiert wird. Ab Montag bereits soll in Nordrhein/Westfalen und Schleswig/Holstein die Präsenzpflicht an Schulen enden. Schüler der unteren Stufen können in Nordrhein/Westfalen zuhause bleiben, ab Klasse 8 sollen sie zuhause bleiben. Dresden verbietet die Abgabe alkoholischer Heißgetränke im gesamten Stadtgebiet. In Schleswig/Holstein wird Ausschank und Konsum jeglichen Alkohols in der Öffentlichkeit verboten. Noch weiter geht die tschechische Regierung, sie verbietet den Verkauf „ausgeschenkter oder vor Ort hergestellter Getränke“ an Kunden „außerhalb der Innenräume“. Dazu zählt auch ‚Coffee to go‘. Gesundheitsminister Jan Blatny: „Das ist kein Irrtum, es zielt darauf ab, dass wir nicht auf Weihnachtsmärkten oder auf der Straße mit Bechern oder Essen in der Hand herum laufen.“ Genau, wie sieht das auch aus? Laut Handelsminister Karel Havlicek ist es allerdings erlaubt, wenn man den Becher „in einer Tasche nach Hause“ mitnehme. Weil es Kaffee zuhause nicht gibt? Bremen und das Saarland nehmen die Lockerungen für Weihnachten und Silvester zurück. Höchstinstanzlich verboten wurden für heute geplante Querdenkerdemonstrationen in Erfurt, Dresden und Frankfurt am Main. New York schließt erneut die Innenräume der Bars, Cafes und Restaurants. Im Gaza-Streifen ist ein zweitägiger Lockdown in Kraft getreten. Menschen dürfen nur noch nach draußen um Medikamente zu kaufen. Sicherheitskräfte patroullieren auf den Straßen, um die Einhaltung zu überwachen. China hat über die Stadt Dongning an der russischen Grenze nach zwei Corona-Fällen einen Lockdown verhängt. Schulen wurden geschlossen, der Öffentliche Nahverkehr eingestellt, wer die Stadt verlassen will, benötigt ein aktuelles negatives Testergebnis. Innerhalb von drei Tagen sollen sämtliche Einwohner getestet werden. Rekorde an Neuinfektionen melden Südkorea, 950 und die USA, 231.775 Fälle am Tag. Spanien eröffnet in der kommenden Woche seine Skigebiete. Griechenland öffnet ab Montag wieder Friseure und Buchhandlungen. Das Ausgehverbot beginnt dann erst 22 statt 21 Uhr. Auch Mexiko und die USA erteilen dem Biontech/Pfizer-Impfstoff eine Notfallgenehmigung. Über 400 Covid-19-Tote verzeichnet Malaysia, über 2.000 Slowenien, über 7.000 Bangladesch, über 10.000 die Niederlande, über 180.000 Brasilien, über 295.000 die USA. Dort starben gestern 3.309 Menschen am Tag, erneut ein Höchststand. Die Hamburgische Landesstelle für Suchtfragen (HLS) hat sich beim Deutschen Werberat über einen „Impfstoff“-Wein aus Rheinland/Pfalz beschwert, den das ‚Feinmund‘-Unternehmen aus Diez/Lahn als „Lösung für alles“ bewirbt. „Hilft garantiert nicht gegen das Virus. Macht die Lage aber etwas erträglicher“, heißt es auf ihrer Homepage. Gerade für alkoholkranke Menschen in der Corona-Krise sei das an Zynismus kaum zu überbieten, denkt die Hamburger Landesstelle.

Tipp für heute: Sich zum Thema Zynismus etwas schlauer machen. Hieße der Wein „Stirb!“ und wäre extra für Alkoholiker gekeltert worden, käme man dem Zynismus schon mal deutlich näher.

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